Lena Herrmann-Green ist eine 19jährige Jugendliche mit zwei jüngeren Geschwistern, die in Konstanz lebt und studiert. Sie führt ein nicht ungewöhnliches Leben und doch ist sie es gewöhnt, Interviews zu geben. Denn sie gehört zu den ersten Kindern in Deutschland, die aus einer anonymen Samenspende entstanden sind.
„Immer wieder fragen mich die Menschen, ob ich nicht meinen Vater vermisse und kennenlernen möchte“, erzählt Lena Herrmann-Green routiniert und lässt jahrelangen Medienkontakt erahnen. Bereits mit neun Jahren hat sie bei einem Buch zum Thema mitgearbeitet, kürzlich sprach sie vor dem Europäischen Parlament und im Oktober 2015 war sie eine der Hauptrednerinnen bei der Regenbogenfamilienkonferenz in Lissabon. „Ich habe ein Problem mit der Definition 'Vater', denn das ist für mich jemand, der einen liebt und da ist. In dem Sinn habe ich keinen Vater, sondern zwei Eltern, die mich lieben und ich brauche nicht noch jemanden. Wir sind komplett so wie wir sind, da fehlt nichts.“ Die ständige Frage nach dem Vater zeige, wie sehr Familienmodelle, die nicht dem traditionellen Vater-Mutter-Kind-Konzept entsprechen, disqualifiziert werden. Sie fordert, dass dem endlich ein Ende gesetzt werden müsse. Sie macht eine Pause, wirft ihre Haare zurück und verdreht die Augen: „Ja, ich bin aus Insemination entstanden und habe keine drei Augen.“
Als Kind habe sie das Interesse an ihrer Familie genossen und gerne darüber geredet. Ich habe es damals allen offen erzählt, aber meine Familiensituation hat nicht meinen Alltag bestimmt“, berichtet Lena. Eine ihrer Mütter ist Dr. Lisa Green. Für die engagierte Psychotherapeutin und Mitbegründerin von NELFA, dem Network of European LGBT Families Associations ist klar, dass Kinder in Regenbogenfamilien ihre Familie als „normal“ wahrnehmen, während sie erst verstehen müssen, warum die Welt ihnen Interesse entgegen bringt. Sie müssen sozusagen erst in die heterosexuelle Gesellschaft eingeführt werden. Mit Workshops zum Thema „Starke Eltern stärken Kinder – Vorbereitung auf den Weg in die heterosexuelle Gesellschaft“ klärt Dr. Lisa Green darüber auf und berichtet von ihrer Erfahrung als lesbische Mutter. Es wird deutlich, woher Lenas Selbstbewusstsein kommt. „Unsere Eltern sind mit uns viele Fragen durchgegangen und haben uns auch mit Rollenspielen auf mögliche Reaktionen auf unsere Familie vorbereitet.“
Als Lena 13 war, haben sich ihre Eltern getrennt, woraufhin sie sich zurückgezogen hat und keine Interviews mehr geben wollte. „Das Problem war dieses ständige Beweisen-müssen, dass unsere Familie in Ordnung ist. Ich hatte keine Lust mehr, mich zu erklären und zu zeigen, wie toll wir sind.“ Lena berichtet von einem unglaublichen Druck, der auf Eltern und Kinder in Regenbogenfamilien läge, als Vorzeigefamilie zu leben und keine Fehler zu machen. „Dieser Druck perfekt zu sein, kommt von außen und von innen. Das soll nicht heißen, dass Regenbogeneltern von ihren Kindern erwarten, dass sie perfekt sind, sondern vielmehr damit, dass wir zu einer Minderheit gehören, die noch nicht hundertprozentig akzeptiert wird“, führt Lena Herrmann-Green aus und es wird deutlich, dass dies ihr derzeit aktuelles Thema ist. „Dadurch, dass in der Politik in dem Bereich so viel im Umbruch ist, kann jede meiner Aussagen einen großen Einfluss darauf haben.“ Diese Verantwortung wiegt schwer und umso verständlicher wird Lenas dringendstes Anliegen: „Der Druck muss weg!“ Regenbogenfamilien müsse endlich zugestanden werden, dass es in Ordnung sei, Fehler zu machen.
Ein erster Schritt diesem Druck entgegenzutreten sieht Lena Herrmann-Green in der rechtlichen Anerkennung von Regenbogenfamilien als Familien. „Ich hoffe, dass die Selbstverständlichkeit unsere Familien als Familien anzusehen wächst und dadurch der Druck weggeht, sich beweisen zu müssen.“
Bislang erkennt nur ein Viertel der europäischen Länder Regenbogenfamilien an. Damit befindet sich ein Großteil der Familien in einem Niemandsland mit Benachteiligungen, worunter insbesondere die Kinder leiden. So kommt die Verweigerung beide Elternteile rechtlich als solche anzuerkennen, beispielsweise durch die Möglichkeit der Volladoption, also Adoption und Stiefkindadoption, einer Nicht-Anerkennung der Familie als solche gleich. Eine Stiefkindadoption ermöglicht, dass ein Stiefkind den leiblichen Kindern rechtlich gleichgestellt wird. Auch in Lenas Familie war bis zur Möglichkeit der Stiefkindadoption in Deutschland im Jahr 2005 nur ein Elternteil als solches rechtlich eingetragen, die andere Mutter war „rechtlich ein Niemand“.
Derzeit erkennen 13 von 47 Ländern in Europa die Volladoption an. Dazu gehören Andorra (2014), Belgien (2006), Dänemark (2010), Frankreich (2013), Island (2006), Irland (demnächst), Luxemburg (2014), Malta (2014), Niederlande (2001), Norwegen (2009), Spanien (2005), Schweden (2003), Großbritannien (2005/2013). Drei von 47 erkennen die Stiefkindadoption an, das sind Österreich (2013), Deutschland (2014), Slowenien (2011). In Österreich ist ab 2016 die Volladoption möglich, Estland gestattet ab 2016 die Stiefkindadoption. Im November 2015 hat sich Portugals Parlament für ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen.
Lena Herrmann-Green wünscht sich ein Europa, in dem es keine rechtlichen Unterschiede mehr zwischen gleich- und andersgeschlechtlichen Eltern gibt und in dem diese Vielfalt an Familien als Bereicherung gesehen und gelebt wird. „Schließlich ist Familie da, wo Liebe ist, unabhängig vom Geschlecht der Eltern“, betont sie abschließend. Bestimmt wird sie dies noch oft wiederholen müssen - als Botschafterin für Familienvielfalt.